Geschichte der Martinskirche

Die Martinsgemeinde ist im ausgehenden 19. Jahrhundert in Stuttgarts Norden auf der so genannten „Prag“ entstanden. Sie ging aus der Friedensgemeinde hervor und wurde 1887 selbständige Gemeinde, die sich in den Anfängen zu gelegentlichen Gottesdiensten in der Friedhofskapelle des Pragfriedhofs traf. Ab 1889 stand für die Gottesdienste die vom Fabrikanten Paul Lechler gestiftete Martinskapelle in der Martinsstraße zur Verfügung. Paul Lechler ließ die Kirche und das angrenzende Martinshaus erbauen, um insbesondere den armen Kindern auf der Prag „zu einem freundlichen Aufenthaltsraum zu verhelfen.“ Die Martinsgemeinde wuchs außerordentlich schnell: bis 1905 war sie innerhalb von 13 Jahren von 3000 auf 9500 Gemeindeglieder gewachsen. So ist es nicht verwunderlich, dass die Martinskapelle mit ihren etwa 450 Sitzplätzen nicht mehr ausreichte, und in mehreren anderen „Lokalen“ Gottesdienste abgehalten werden mussten. Der Gesamtkirchengemeinderat beschloss deshalb, eine neue Kirche zu bauen. Allerdings nicht auf der Prag, sondern zwischen der damaligen Bahnhofstraße (heute Heilbronner Straße) und der Birkenwaldstraße: die Erlöserkirche. Eine zweite Kirche sollte „in absehbarer Zeit auf der Rosensteinebene“ gebaut werden. Die Standortwahl folgte den beiden Siedlungen „Postdörfle“ und „Eisenbahndorf“ auf der Prag.

Die Gemeinde rund um die Martinskapelle wurde bis 1913 geprägt von ihrem ersten Pfarrer, Otto Umfrid, der als Pazifist 1914 wegen seines Einsatzes „für das Ideal des Völkerfriedens“ für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde – als erster Deutscher und erster Theologe.
1937 konnte die Martinskirche an der Eckartstraße schließlich eingeweiht werden. Der Architekt Karl Gonsner hat die Kirche mit ihren ehemals 1000 Sitzplätzen sehr flexibel für verschiedene Nutzungen geplant: Ein quer zum Hauptschiff angeordneter Anbausaal war sowohl als Teil der Kirche, als auch als abtrennbarer Saal nutzbar. Er war mit Klappstühlen ausgestattet. Kirchsaal und Anbausaal erhielten völlig unabhängige Zugänge.

1944 fiel die Martinskirche dem Krieg zum Opfer. Sie wurde weitgehend zerstört,  konnte aber bis 1950 wieder aufgebaut werden. Das Innere der Kirche war stark geprägt von einem mächtigen Kruzifix, das der Stuttgarter Bildhauer Jakob Brüllmann aus einer 400 Jahre alten Eiche gestaltet hat. Das Kircheninnere wurde später an die veränderte Bedürfnisse angepasst:
Altarbereich mit Kruzifix sowie die Orgel blieben unverändert, das Kirchenschiff selbst aber wurde für die Nutzung durch die Jugendkirche umgestaltet: die festen Bänke wurden ausgebaut und durch Stühle ersetzt, zudem stand in der Kirche ein großer Gerüstrahmen, der einen variantenreichen Gestaltungsrahmen und unterschiedliche „Inszenierungen“ für Gottesdienste der Jugend
eröffnet. Der Großteil der Gemeindegottesdienste wurde in der „Martinskapelle“, der ehemaligen Winterkirche abgehalten, die ca. 35 Besuchern Platz bot. Für größere Gottesdienste nutzte auch die Gemeinde den großen Kirchenraum mit seinen 600 Plätzen.